alt Ständerat Uri

Vom Juni 2010 bis November 2015 vertrat ich den Kanton Uri im Ständerat und war dabei Teil der grünliberalen Bundeshausfraktion.


Mein Verständnis von grünliberal

Die unmittelbare Bedeutung von grünliberal hat mit dem Streben nach ökologischem Verhalten und Freiheit zu tun — mit diesem „und“. Ordnungspolitlsch kommt damit zum Ausdruck, dass „der Markt“ als Instrument des Ausgleichs von Angebot und Nachfrage im Umgang mit knappen Produktionsfaktoren, Gütern und Dienstleistungen allein nicht zu genügen vermag, so wichtig er für viele Belange auch ist.

Der Markt als Model ist kein Ziel an sich, sondern ein Koordinationsinstrument. Er ist notwendigerweise eingebettet in vorherrschende Werthaltungen und Regeln mit mehr oder weniger Durchsetzungscharakter: in die jeweilige Eigentums-, Erb-, Vertrags-, Steuer- und anderen wichtigen staatlichen und privatwirtschaftlichen Bestimmungen. Er schafft es in den konkret vorliegenden Ausgestaltungen — auch in der schweizerischen – offensichtlich nicht, jedenfalls nicht umfassend und rechtzeitig genug, ökologischen und anderen Notwendigkeiten zu genügen.

Grün & liberal zu definieren bleibt anspruchsvoll. Einfacher wäre es zu sagen, was diese Verbindung idealtypischerweise nicht bedeuten kann: nämlich einerseits eine Rund-um-die-Uhr Versorgung bzw. eine grundsätzliche Wirtschaftssteuerung durch staatliche Funktionäre; anderseits die einseitige Freiheit vorab jener Personen und Organisationen, die im krassen Übermass haben und ihrerseits die staatlichen Aktivitäten und Regeln im Übermass zu ihrem einseitigen Vorteil beeinflussen können. Was wir nicht wollen ist ein übertriebener Sozialstaat bzw. Missbrauch der Sozialgesetzgebung. Das grobe Fehlverhalten von Menschen im Finanzsektor der letzten Jahre und die Ölkatastrophe im Golf von Mexico stehen demgegenüber stellvertretend für eine sinnentleerte Freiheitsvorstellung. As Folge von Verstrickungen und Intransparenz ist hier das demokratisch geforderte Primat der Politik seiner fast völligen Umkehrung gewichen. Die Regeln des Ausgleichs der Interessen und die Aufsichtsfunktion der Allgemeinheit haben versagt.

Ein Losungswort — auch wenn es abgegriffen tönen mag – heisst Nachhaltigkeit. Dieses Konzept beschreibt nach Wikipedia „die Nutzung eines regenerierbaren Systems in einer Weise, dass dieses System in seinen wesentlichen Eigenschaften erhalten bleibt und sein Bestand auf natürliche Weise regeneriert werden kann.“ Auch unser glp Parteilogo will „heute für morgen handeln“. In dieser langfristigen Ausrichtung muss das Individuum, zumindest die Summe der Individuen, logischerweise dann zurückstehen, wenn diese Nachhaltigkeit gefährdet wäre. Die amerikanischen Cowboys unserer Gedankenwelt tun das nicht. Die Abzocker unserer Realität auch nicht. Warum aber so handeln, dass die Wirkungen unseres Handelns auch über uns hinausgehend Sinn machen sollen?

Zentral scheint mir, dass wir uns in einem grösseren Ganzen sehen und so agieren, dass wir verantwortlich handeln, also auf Handeln ausgerichtete Antwort geben können; dass wir die Sinnfrage stellen. Wir haben keine vorfixierten Lebensstile vor Augen. Gegenüber politischen, wirtschaftlichen, religiösen oder was auch immer für Obrigkeiten sind wir grundsätzlich kritisch eingestellt, insbesondere dann, wenn potentieller Machtmissbrauch angesagt ist. Respekt gegenüber der Schöpfung, Eigenverantwortung und Meinungsäusserungsfreiheit halten wir hoch. Wir lieben Freiräume, begegnen anderen politischen Ansichten grundsätzlich respektvoll.

Nachhaltigkeit hat nach gängigem Verständnis drei Aspekte. den ökologischen, den ökonomischen und den sozialen. Im Hier und Jetzt stellen die Grünliberalen den ökologischen deshalb in den Vordergrund, weil von dieser Seite die Herausforderung in der Welt und in der schweizerischen Gesellschaft, soweit wir die grössere Welt beeinflussen, am grössten ist; deshalb auch, weil die harmonischere Verbindung von Ökonomie und Ökologie nach wie vor ein uneingelöstes Versprechen darstellt. In der Quantenphysik ist die Einheit aller Dinge wissenschaftlich schön längere Zeit bewiesen. Auch die soziale Nachhaltigkeit muss zu dieser Einheit dazugehören: das Verständnis der „Entwicklung der Gesellschaft als ein Weg, der Partizipation für alle Mitglieder einer Gesellschaft ermöglicht. Des umfasst einen Ausgleich sozialer Kräfte mit dem Ziel, eine auf Dauer zukunftsfähige, lebenswerte Gesellschaft zu erreichen.“ (Wikipedia) Unser Bekenntnis zum Föderalismus in Verbindung mit Finanz- und Lastenausgleich sowie zur Chancengleichheit leiten wir u.a. daraus ab.

Freiheit entspricht der menschlichen Sehnsucht, der individuellen wie auch gesellschaftlichen Die Befreiung von Abhängigkeiten und Zwängen aller Art muss bekanntlich bei der Unfreiheit des Andern aufhören. Theoretisch erkannt haben das schon Viele vor uns, die Umsetzung aber bleibt eine wiederkehrende individuelle und gesellschaftliche Herausforderung Politische Leitlinien und Anreizstrukturen, die faktisch zur Auslieferung an ein Kollektiv oder zum blanken Egoismus führen, lehnen wir ab.

Gefordert ist damit eine möglichst nachhaltige politische Ausrichtung und Umsetzung. Wenn wir heute von einem grundsätzlich guten Sozialsystem in der Schweiz ausgehen, dann ist es angezeigt, dieses in seiner Wirkungsweise zu erhalten, seine Finanzierbarkeit zu gewährleisten, es den neuen Gegebenheiten anzupassen. Es gilt die bekannte Vorstellung „Die Qualität einer Gesellschaft lässt sich an ihrem Umgang mit ihren schwächsten Mitgliedern ablesen.

Wenn wir von einem Binnenstaat mit wenig natürlichen Ressourcen ausgehen, dann gilt es die Kreativität, Innovationskraft und Konkurrenzfähigkeit der schweizerischen Wirtschaft zu fördern. Die verschiedenen Märkte müssen in einer sich vernetzenden und rasch verändernden Welt beweglich bleiben. Allerdings dürfen Machtanballungen in der Wirtschaft nicht dazu führen, dass sie die politischen Kräfte übermässig beeinflussen und letztlich in selbst bedrohenden Negativszenarien, wie „too big to fail“, enden.

Wenn wir die ökologischen Bedrohungen der Erde ernst nehmen und sie nicht einfach durch Verdrängen zu beseitigen suchen, dann müssen Marktstrukturen, welche in den Preisen nicht die richtigen Signale aufnehmen, durch staatliche Massnahmen ergänzt bzw. überwunden werden. Marktverträgliche Instrumente sollen dabei Vorrang haben, Verbote bei Notwendigkeit subsidiär zum Zug kommen. Ein zu tiefer Energiepreis beispielsweise mag zwar zwischenzeitlich zu erhöhtem Wirtschaftswachstum führen, wird aber folgerichtig auch zu Verschwendung und — gerade bei nicht erneuerbaren Ressourcen — zu Umweltbelastung betragen. Deshalb stehen Wir Lenkungsabgaben positiv gegenüber. Dogmen jeder Art gegenüber sind wir skeptisch. Abhängigkeiten, die unsere Suche nach der besseren politischen Lösung begrenzen oder gar verunmöglichen, gilt es zu vermeiden.

Eigenverantwortung ist uns wichtig. Politisch geht es bei den staatlichen Normen und Aktivitäten um das Finden des richtigen Masses. Nachhaltigkeit braucht eine Konkretisierung im Einzelfall, die je nach Ungleichgewichtssituation, in der sich die drei Ziele (ökologisch, ökonomisch, sozial) befinden, geschehen muss. Sie braucht eine allgemeine Weltsicht als Fundament, die jede politische Richtung ja ohnehin benutzt, ob nun bewusst oder nicht.

Die Forderung nach Nachhaltigkeit soll kein Ausweichen auf Beliebigkeit, kein unverbindliches Konzept bedeuten. Gerade in unserem Wirtschaftssystem, das gegenüber dem Wirtschaftswachstum in einem offensichtlich dogmatischen Abhängigkeitsverhältnis steht, darf Nachhaltigkeit nicht heissen, zuerst müssten alle wirtschaftlichen bzw. geldlichen Anforderungen befriedigt, erst dann könne über ökologische und soziale Anliegen diskutiert und diese im Rahmen des wirtschaftlichen Oberziels optimiert werden. Das nämlich wäre die Preisgabe von Nachhaltigkeit.

Das zentrale Anliegen der Nachhaltigkeit ist m.E. das Leben, die Erhaltung des Lebensprozesses. Dies gibt— angesichts des heutigen weltweiten Befunds — den ökologischen Zielen erste Priorität. Die Natur kommt nötigenfalls ohne den Menschen aus, der Mensch aber nicht ohne die Natur. Der heutige Befund zeigt nun aber verschiedene gravierende Ungleichgewichte in den ökologischen Systemen: die sog. natürlichen Ressourcen werden übernutzt, Böden, Gewässer und Luft sind teilweise sehr stark belastet, das Abfallproblem ist gigantisch, die Biodiversität nimmt merklich ab, das Klima erwärmt sich usw… Und es ist für alle mit offenen Ohren und Augen klar, dass der Mensch an dieser vielfältigen Schädigung der Natur wesentlich mitbeteiligt ist, zum ersten Mal wohl in der Geschichte. Die Schädigung ist mittlerweile soweit fortgeschritten, dass sie vielfach messbar und auf einzelne wirtschaftlich-zivilisatorische Ursachen rückführbar ist. Forscher warnen vor den heutigen und vor allem künftigen Gefahren für Natur und Mensch. Die diesbezüglichen Reden und Kongresse sind häufig und lang, die Massnahmen und Verhaltensänderungen bisher aber vergleichsweise gering. Der Weltgipfel Rio im Jahre 2012 war eine grosse Enttäuschung. Dies ist schon so, wenn man die Erde als blossen Planeten (Mineralienklumpen) betrachtet, dem in einer gewissen Zeit eine maximale Menge von Ressourcen entnommen, bzw. dem eine gewisse Obergrenze von Belastungen zugemutet werden darf, ohne dass er Reaktionen zeigt, die für den Menschen selbst zur Belastung oder gar Bedrohung werden.

Die Unmittelbarkeit des Verhältnisses zwischen Mensch und Natur hat in den letzten insbesondere 200 Jahren in unseren Köpfen stark abgenommen, ist soweit zurückgegangen, dass wir die Trennung von Himmel und Erde, Geist und Materie, Mensch und Natur als Spitze der Entwicklung betrachten, obwohl uns begnadete Menschen und auch die Quantenphysik etwas anderes darlegen. Nur hat das in unserem vorherrschenden Bewusstsein bisher kaum Aufnahme gefunden. Die Quartalsabschlüsse der Grossunternehmungen sind uns i.d.R. viel wichtiger als die Frage, welche Welt wir den nächsten Generationen übergeben werden. In der Folge gilt immer noch (der möglicherweise falsch übersetzte oder verstandene) Bibelsatz, „macht euch die Erde untertan“, bzw. die Förderung des Wirtschaftswachstums als Rezept gegen fast alle wirtschaftlich-gesellschaftlichen Probleme.

Umso grösser aber ist die Enttäuschung über „Rio“, wenn wir die Erde als Wesen betrachten, mit dem wir in einer Lebensgemeinschaft eng verbunden sind. Erst mit dieser Betrachtungs- und Erfahrungsweise wohl, die den indigenen Völkern selbstverständlich ist, wird Naturschädigung unumwunden zur Menschschädigung. Erst dann streichen wir in der ökonomischen Theorie die Vorstellung von sog. „freien Gütern“ wie Luft und Wasser. Erst dann hören wir aus wirklich „eigenem Interesse“ auf, Technologien zu entwickeln und in Gang zu setzen, wie die Atomkraft, die wir zwar zu starten und betreiben, nicht aber zu beenden und entsorgen wissen. Erst dann wohl wird es ein Wirtschafts- und Preissystem geben, das nicht erst im Nachhinein, bruchstückhaft und gegen den mächtigen Widerstand der herrschenden Produktions- und Verteilungsweise bemüht ist, sog. Externe Effekte in die Preisgestaltung zu integrieren. Erst wenn erkannt und erlebt wird, dass alles mit allem verbunden ist, wird sich auch der vermeintliche Widerspruch innerhalb des Zieldreiecks der Nachhaltigkeit im Wesentlichen auflösen. Nachhaltigkeit in der negativen Umschreibung bedeutet, dass die Menschheit nicht wie bisher Güter produzieren und verteilen, das Konsumniveau der westlichen nicht auf die restliche Welt ausdehnen kann. Denn wenn sie so weiterfährt, sägt sie am Ast, auf dem sie sitzt.

8. September 2013